Eine zentrale Aufgabe schulischer Arbeit ist es den SchülerInnen Hilfen zur persönlichen Entfaltung in sozialer Verantwortung zu geben. Die Persönlichkeit der SchülerInnen kann sich innerhalb des Systems Schule nur dann entfalten, wenn nach Möglichkeit einer/einem Jeden Platz eingeräumt wird, sich selbst zu begegnen, selber zu denken, selbstständig zu handeln, selbstständig zu entdecken, Verantwortung zu übernehmen.
4.2.1 Sich selbst begegnen
Der Blick in den Spiegel kann bisweilen ernüchternd sein: Bin ich das wirklich? Wer schaut mich denn da an? Die Schule übernimmt für SchülerInnen über Jahre hinweg in vielen Situationen die Spiegelfunktion: SchülerInnen entdecken sich, ihre Stärken und Schwächen (im Differenzierungssystem und den vielfältigen schulischen Angeboten), und sie lernen sich in sozialen Zusammenhängen kennen („Lebensraum Schule“).
Dieser Entdeckungsprozess kann auch Ängste und Sorgen erzeugen, weswegen eine intensive Betreuung und Begleitung vonnöten ist („Individuell begleiten“, vor allem durch das Beratungssystem).
Am Ende der schulischen Laufbahn der SchülerInnen sollte ein Gespür für die eigene Persönlichkeit, das Wissen um eine eigene Identität und eine Antwortmöglichkeit auf die Frage „Wer bin ich?“ stehen.
4.2.2 Selber denken
SchülerInnen zum Selberdenken anzuregen ist ein hoher Anspruch schulischer Arbeit. Die Bequemlichkeit des Menschen steht diesem Lebensprinzip entgegen, ist es doch leichter, andere für sich denken zu lassen. Das Hinführen zum Selberlernen ist unverzichtbar, da SchülerInnen lernen müssen, dass sie in einer demokratischen Gesellschaft das Recht haben zu denken (in Anlehnung an das Lied „Die Gedanken sind frei“) und die Pflicht haben zu denken (individueller Beitrag zum gesellschaftlichen Leben).
Hinzu kommt, dass nur die Menschen etwas bewirken können, die auch in komplexeren Zusammenhängen denken können, frei nach dem Motto: Wer denkt, lenkt! Das Problemlösen ist eine wichtige Methode, dieses Selberdenken zu schulen. Hinzu kommen Facharbeiten, Handlungsorientierung und die Ermutigung zu eigenverantwortlichen und begründeten Interpretationen von Texten und Sachverhalten.
4.2.3 Selbstständig handeln
Eine starke Persönlichkeit zeichnet sich auch darin aus, dass sie handeln kann ohne auf Anweisungen anderer warten zu müssen. Sie ist aktiv in ihrer Lebensgestaltung und versteht sich nicht als Teil einer im Strom schwimmenden Masse. Aktiv sein bedeutet: Initiative ergreifen, Schritte wagen, auch mit dem Wissen, dass der eine oder andere Fehler begangen werden könnte. Doch in einem kreativen Lebenskontext bedeuten Fehler stets einen Hinweis auf eine neue Problemsituation, die zu bewältigen ist. Das Selbstständighandeln beinhaltet zudem die Aufforderung eine Lernhaltung anzunehmen, die zum Ernstnehmen des Einzelnen als Persönlichkeit einlädt.
Zu dieser Lernhaltung gehören der Umgang mit der zur Verfügung stehenden Zeit (Zeitmanagement), die aktive Mitarbeit in Lerngruppen unterschiedlicher Zusammensetzung, die realistische Einschätzung des Machbaren und ein Wille zur Leistung. Es gibt unterschiedliche Entwicklungsräume in unserer Schule, in welchen das Selbstständighandeln geschult wird: Methodentraining im Fachunterricht und in extra hierfür vorgesehenen Unterrichtseinheiten (besonders in der Jahrgangsstufe 11), Mitarbeit in schulischen Gremien und die Gestaltung des Schullebens.
4.2.4 Selbstständig entdecken
Die Neugier ist eine Eigenschaft des Menschen, die ihn bis zu seinem Lebensende begleitet. Die kindliche Neugier mag zwar im fortschreitenden Alter abnehmen, aber eine gewisse neugierige Haltung bleibt ein steter Begleiter im Leben. Die Neugier ist ein Potenzial menschlicher Existenz, welches unbedingt die schulische Arbeit mitprägen muss. So ist das entdeckende Lernen ein wichtiger Weg, SchülerInnen immer wieder vor Entscheidungssituationen zu stellen und ihnen Entscheidungen abzuverlangen (wie beim forschend-entwickelnden Verfahren, z. B. im naturwissenschaftlichen Unterricht). Die SchülerInnen müssen lernen, dass Entscheidungen immer auch das Risiko bergen Fehler zu machen und eventuell Schaden anzurichten. Diese Erkenntnis darf nicht lähmen, sondern muss zu einem umsichtigen und die Folgen berücksichtigenden Handeln führen, ohne das sich keine Gesellschaft fortentwickeln kann. Innovationen sind häufig das Ergebnis solcher Neugier, die sich in der Spannung zwischen Vision und Pragmatismus bewegen.
4.2.5 Verantwortung übernehmen
Eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn der Einzelne zu dem steht, was er tut. In einer immer komplexer und enger werdenden Welt lassen sich ein Zusammenleben und zukünftiges Leben nur realisieren, wenn die Menschen Verantwortung übernehmen.
Das Prinzip Verantwortung muss ebenso wie das Lesen, Schreiben und Rechnen vermittelt und gelernt werden. Ein Verantwortungsgefühl entwickelt ein Mensch nicht von alleine, sondern in intensiver Auseinandersetzung mit seiner Umwelt, mit einer Gemeinschaft und mit sich selbst. Damit Verantwortungsbereitschaft stabil im Persönlichkeitsprofil des Menschen verankert wird, bedarf es großer erzieherischer Geduld und sorgfältiger, systematischer Planung.
Unsere Rahmenrichtlinien für die Fächer sind didaktisch und methodisch so angelegt, dass der Verantwortungsspielraum und das Maß der Verantwortung von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe zunehmen. Im Rahmen von kleineren Projektarbeiten, ersten Referaten, künstlerisch-musischen Auftritten, Workshops und vielem mehr sollen die Kinder bereits in den Anfangsjahren an unserer Schule für sich und ihre Umwelt Verantwortung übernehmen lernen.
Der Fachunterricht folgt daher konsequent und methodisch gestuft dem Anspruch, Verantwortung vermitteln zu wollen. Dabei wird das Lernfeld „Verantwortung“ inhaltlich nicht nur an den Unterricht gebunden, sondern auch übergreifende Ebenen zur Übernahme von Verantwortung werden gefördert: in Form einer aktiven Teilnahme am Schulleben, bei einer KlassensprecherInnenwahl oder im Rahmen der Mitarbeit in der SchülerInnenverwaltung,.
Unsere Schule ist offen für solche Organisationsformen und Strukturen, die unsere Schüler effizienter zur Übernahme von Verantwortung erziehen können. Der Ganztag eröffnet uns dabei vielfältige organisatorische Möglichkeiten (Offene Angebote, Arbeitsgemeinschaften und Ähnliches).
An unserer Schule ergeben sich allerdings trotz aller Bemühungen im Alltag leider noch viel zu oft Konflikte, weil der Einzelne das Prinzip Verantwortung noch nicht in adäquater Form verinnerlicht hat oder versucht, Verantwortung abzuschieben oder individuell auszulegen und auszuleben. In Gesprächen problematisieren wir diese Verhaltensweisen (besonders im Streitschlichtungsprogramm) und scheuen uns nicht, die Verantwortung des Einzelnen einzufordern. Das gilt für LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern gleichermaßen.